(Mit Schwerpunkt: baltische Staaten)
Von Albert Caspari, INFOBALT, Bremen
Für ein halbes Jahr - bis zum Juni 2001 - hat die Bundesrepublik Deutschland den Vorsitz des 1992 gegründeten Rats der Ostseeanrainerstaaten (CBSS) übernommen. Dies nahmen die norddeutschen Bundesländer sowie das Auswärtige Amt zum Anlaß, sich einige grundsätzliche Gedanken zum Stand der Kooperation zwischen den Ostseeanrainerstaaten zu machen. Anfang Juni 2001 wird in Hamburg die nächste Konferenz der CBSS-Staaten stattfinden. Ähnlich dem Vorsitz im Ministerrat der Europäischen Union (EU), den Deutschland in der ersten Jahreshälfte 1999 innehatte und der im EU-Gipfel von Köln seinen Höhepunkt fand, ist es auch diesmal spannend mitzuerleben, welche Schwerpunkte sich Deutschland für den Zeitrahmen seiner CBSS-Präsidentschaft gesetzt hat.
Bereits im Oktober 2000 formulierten Mitarbeiter des Auswärtigen Amts erste Entwürfe zur Förderung von sogenannten Nicht-Regierungsorganisationen (im englischen Sprachraum NGOs genannt). Darin wird festgestellt, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Partnern in der Ostseeregion in den letzten Jahren vor allem durch "Bottom-up-Initiativen" kennzeichnen lasse - Aktivitäten der Basis also, die den Rahmen für Zusammenarbeit auf höherer Ebene vorgeben und geprägt haben. Gleichzeitig wird festgestellt, dass zwar einerseits der pluralistische Charakter der Ostseekooperation durch diese gewachsene Vielfalt gestärkt werde, andererseits aber dieselbe Vielfalt auch die Entwicklung einer Übersicht zu den Kooperationsaktivitäten schwierig mache und Synergieeffekte erschwere. Daher wird die Durchführung eines NGO-Treffens kurz vor dem CBSS-Ministerrat im Juni 2001 ins Auge gefasst, damit die verschiedenen Organisationen hierdurch Gelegenheit bekämen, gemeinsame Ziele zu fixieren und Visionen zu entwickeln.
Die Konzeption des Auswärtigen Amtes (in der Version vom 9.10.00) nimmt für sich in Anspruch, die "substanziellen Fragen" der NGO-Arbeit ansprechen zu wollen. Von daher werden drei Fragekomplexe abgeleitet, denen man zuerkennt, gleichermassen wichtig sowohl für die NGO-Arbeit wie auch für den Ostseerat zu sein:
Als Zielgruppen für eine Teilnahme an der geplanten Veranstaltungen werden solche NGOs identifiziert, die bereits Netzwerkstrukturen aufgebaut haben und überregional arbeiten - konkret benannt werden bereits in den einleitenden Betrachtungen zwei: Das Netzwerk der Umweltverbände im Ostseeraum COALITION CLEAN BALTIC (CCB) und das BALTIC YOUTH FORUM.
Als einzuladende Gruppen werden solche benannt, die bereits Erfahrungen mit bi- oder multilateralen Projekten haben. Als sehr wichtige Phase der Vorbereitung werden daher die Schritte zur Identifizierung solcher Gruppen betont.
Staatsminister Zöpel benannte am 4./5.September anlässlich der Jahrestagung der Ostsee-Parlamentarierkonferenz in Malmö folgende weitere
Schwerpunkte der deutschen Präsidentschaft im Ostseerat:
Mit Datum vom 1. November 2000 übermittelte die Bundesregierung die Antwort auf eine Große Anfrage der CDU/CSU (Abgeordnete Wolfgang Börnsen, Gunnar Uldall, Ulrich Adam und weitere) zum Thema
"Die Ostseeregion - Chancen und Risiken einer Wachstumsregion
von zunehmender weltweiter Bedeutung."
Es darf also wohl davon ausgegangen werden, dass der in diesem Papier wiedergegebene Sachstand auch die Positionen der Bundesregierung zum Thema Ostseekooperation wiedergibt. Bei genauerer Durchsicht dieser Stellungnahme ist allerdings dringend zu hoffen, dass die deutsche Präsidentschaft im Ostseerat vielleicht dabei hilft, doch noch etwas genauer sich mit dem Thema Ostsee zu befassen. In vielen Bereichen erscheinen die gegebenen Informationen nur äußerst lückenhaft bzw. es wird offensichtlich, dass Ostseepolitik in Berlin noch nicht eine Priorität vorderen Ranges genießt.
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Bei der Durchsicht der 2001 im Rahmen der CDU-Anfrage zur Ostseepolitik vorgebrachten Argumente und der Antwort der Bundesregierung darauf fällt auf, dass es auf beiden Seiten wenig neue Argumente gegenüber der Situation von 1998 gibt.
Aber auch aus der Zeit christ- und freidemokratischer Regierung sind Defizite zu beklagen. Man baute zum großen Teil - neben dem Aufbau regulärer diplomatischer Beziehungen - auf die Exportkraft der deutschen Wirtschaft (die Folgen für die Empfänger hat: Zahlungsbilanzen müssen ausgeglichen werden) und auf die innere Sicherheit (Schutz vor Verbrechern und illegalen Flüchtlingen). Damit setzte man vor allem auf die Besänftigung irrationalen Ängste in der deutschen Bevölkerung, die vor allem um die Sicherung des eigenen Lebensstandards fürchtete. Einem damaligen und auch heute noch im christdemokratischen Mainstream liegenden innenpolitischen Trend zufolge sind Ausländer nur dann "gute Ausländer", wenn sie Deutsch sprechen und sich der deutschen Kultur anpassen (Stichwort "Leitkultur"). Dass man mit dieser Grundüberzeugung im Hinterkopf auch im Ausland Politik machen kann, zeigt zum Beispiel die Konzentration auf Kulturförderung nur dort, wo deutsche Sprache und Traditionen vermittelt oder gepflegt werden. Damit wurde - relativ offen - die regionale Verankerung des Deutschlandbildes in den Partnerländern den deutschsprachigen Minderheiten (wie in Litauen), die zudem noch mit millionenschwerer Förderung des Innenministeriums rechnen konnten, oder Organisationen der Traditionspflege (wie die in Lettland und Estland tätigen Deutschbalten) überlassen. Anlässlich verschiedener Diskussionsveranstaltungen wurde Anfang der 90er Jahre in diesen Kreisen mit einiger Zuversicht davon ausgegangen, dass Deutsch im Ostseeraum in wenigen Jahren wieder zur Fremdsprache Nummer Eins werden würde.
Weiterhin erschreckend an dieser Vorstellung, dass sich diese Grundhaltung auch weitgehend auf die wirtschaftliche Tätigkeit auswirkt. Unter Punkt 9) ihres eigenen sogenannten "Aktionsprogramms" sagt die alte Bundesregierung mehr oder weniger unverblümt, dass unter dem Hauptinteresse der deutschen Wirtschaft in den baltischen Staaten der Aufbau eines "Sprungbretts nach Russland" zu verstehen sei. Was beim ersten Hinsehen noch völlig selbstverständlich und logisch klingt, relativiert sich beim näheren Hinsehen:
Der Unterschied besteht darin, ein Land nicht als Standort eigener Aktivitäten, sondern eben lediglich als "Sprungbrett" zu verstehen. Wie einschlägige Untersuchungen bestätigen, kennzeichnet diese spezielle Philosophie die deutsche Strategie besonders. Aber damit nicht genug: Man ging vor Jahren noch davon aus, dass nach und nach die anderen EU-Staaten diese Haltung übernehmen würden. Aus so einer Vorstellung entspringt mancher Hochmut, zumindest aber eine Unterschätzung der Partner: Während die baltischen Staaten Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend umkrempelten, eine neue, sehr bald stabile Währung jeweils einführten, und die internen und externen Strukturen sukzessive auf neue Technologien wie Telekommunikation und Internet umstellten, reisten deutsche Unternehmensberater - großzügig gefördert von der Bundesregierung - umher, um vermeintlich sozialistisch verbildete, unselbständige Menschen mit nachlässiger Arbeitsmoral einmal vorzurechnen, wie hart die Regeln der freien Marktwirtschaft doch seien.
Manche deutsche Ökonom gehen unverhohlen sogar davon aus, dass Sprachkenntnisse des Estnischen, Lettischen oder Litauischen sich ganz erübrigen würden, da die Kommunikation mit den internationalen Partnern bei den Balten sowieso alles andere überlagern würden. Das hartnäckige Beharren besonders auf Lettisch und Estnisch als jeweilige Landessprache interpretierten die einen als nationalistische Marotte, andere als kurzsichtige Verblendung.
Flexibilität, Zähigkeit und Ausdauer gehören zum typischen Charakter kleiner Staaten und Völker, die wissen, dass sie zum Überleben Anpassungsfähigkeit und andauernde Zuversicht brauchen. Manch geschäftstüchtiger Gast aus dem deutschen Westen interpretierte das populäre Stichwort der "Hilfe zur Selbsthilfe" als Entschuldigung für verstärktes Eigeninteresse. Dazu kamen einige Missverständnisse: Die einen, welche diese "Nachhilfe zur Selbständigkeit" benötigt hätten, verstanden sie mangels baltischer Sprachkenntnissen vor Ort nicht (denn einer vorausschauenden Regionalpolitik für die Zukunft des Lebens auf dem Lande hätte es durchaus bedurft), die anderen, meist umgeschulte frühere Funktionäre, hatten nicht das Vertrauen ihrer eigenen Bevölkerung, um dass sie nur annähernd so konsequent die Lehrsätze der deutschen Berater hätten umsetzen können. Was blieb: Es wurden riesige Mengen von Papier mit Gutachten vollgeschrieben, deren Erkenntnisse nie umgesetzt wurden. Nach dem Motto "was sich nicht rechnet, lohnt sich nicht" wurden die neuen Wirtschaftspartner eher darin geschult, was ihre interessierten Exportpartner an rechtlichen Sicherheiten, Absatzgarantien und Gewinnspannen benötigten, als dass man sich darüber Gedanken machte, Perspektiven für die Inlandsmärkte in Lettland, Litauen und Estland zu entwickeln. Konsequenterweise schickte das deutsche TRANSFORM-Programm gleich Hunderte von Esten, Letten und Litauer zum Kurzpraktikum auf deutsche Bauernhöfe ("Kartoffelschälen für die EU-Erweiterung") - die baltischen Landwirte hielt man wohl für fortbildungsbedürftig, mit ihrer kleinbäuerlichen Perspektive aber augenscheinlich auch für realitätsfern.
Wie eine solche Haltung sich auf diejenigen auswirken würde, die "auf dem Sprungbrett" leben, war absehbar: Ihnen wird von der deutschen Seite ständig nahegelegt, sich doch bitte wieder als Bindeglied zwischen Ost und West zu profilieren. Die Balten selbst aber versuchten ihren Markt vom russischen zu emanzipieren (die russische Krise von 1999 gab den letzten Anlass dazu) und das wachsende Handelsbilanzdefizit auszugleichen. Wo bisher Rohstoffe wie zum Beispiel Holz massenweise ausgeführt wurden (zuletzt beispielsweise 25% aller Exporte aus Lettland), soll heute ökonomische Selbständigkeit sondern durch Aufbau einer eigenen Veredlung und Verarbeitung erreicht werden (momentan wird durch schwedisch-finnischen Investitionen ein modernes Zellstoffwerk gebaut). Dass Russland die baltischen Partner seinerseits dennoch braucht, ist allein schon aus dem wachsenden Umschlag der baltischen Häfen ersichtlich.
Bisweilen kam dann noch die für eine bestimmte Unternehmergeneration relativ typische deutsche Verhaltensweise hinzu, die Kommunikation auch mit den eigenen Geschäftspartnern vorwiegend in deutscher Sprache halten zu wollen - da war die Begrenzung bereits vorgegeben. Dass heute die Investitionen in strategisch wichtige Wirtschaftsbereiche - wie zum Beispiel dem Energiemarkt, der Lebensmittelindustrie, dem Dienstleistungssektor, im Pressewesen, und der Telekommunikation weitgehend in der Hand von Firmen aus dem englischen Sprachraum (ich rechne hier die skandinavischen Staaten, die mit ihren Partnern durchweg in englischer Sprache umgehen, hinzu) sind, erscheint vor diesem Hintergrund nicht zufällig. Auch die Höflichkeit, im Lande der Partner die landesübliche Staatssprache zu sprechen und in Publikationen zu benutzen, scheint innerhalb der Institutionen der deutschen Wirtschaft nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Deutsche Kulturinstitutionen im Ausland halten es da nicht anders: während etwa der Nordische Rat überall im Lande kleine Regionalbüros aufbaute - nicht selten unter direkter Mitwirkung bereits existierender lokaler Initiativen - um dort die Eigenheiten und die Kultur Skandinaviens in die estnische, lettische und litauische Sprache übersetzen zu lassen, hofften wohl auf deutscher Seite die meisten weiterhin auf eine Trend zur puren Deutschsprachigkeit. So klafft im Handel Deutschlands mit den baltischen Staaten immer noch eine große Lücke zwischen einigen wenigen Großinvestitionen und dem ebenso allgemein wie kurzfristig orientierten Import-Export-Handel. - Erst die Auswirkungen der russischen Krise 1999 scheinen endgültig klar gemacht zu haben, dass auch die relativ kleinen baltischen Staaten eine eigene Entwicklungsperspektive brauchen, die auch regionalpolitisch und ökonomisch begründet sein kann. Allerdings gilt es dabei der Gefahr zu begegnen, sich nicht den Illusionen automatischen Wirtschafts- und Wohlstandswachstums durch schematische, unintelligente Umorientierung hin zur EU und damit einer neuen Abhängigkeit zu begeben.
Die hohen Wachstumsraten der deutschen Exportwirtschaft im Handel mit den Ostseestaaten sind genauso Tatsache wie die Sicherung von Arbeitsplätzen hierdurch. Gleichzeitig genießt die Orientierung am wachsenden Wohlstand eine sehr hohe Akzeptanz in den Transformstaaten selbst: Mit dem Blick darauf, dass es mittelfristig weniger Wohlstandsgefälle zwischen West und Ost geben soll, versuchen sich die Reformstaaten möglichst eng an die ökonomischen und juristischen Regeln, an diplomatische wie politische Umgangsformen zu halten. Die meisten Menschen finden sich dabei mit Durchschnittseinkommen von 400 - 500 DM monatlich ab, wobei die Unterschiede weit auseinander klaffen: Im Bankgewerbe und in der freien Wirtschaft werden auch schon mal 2000 DM oder mehr geboten, Angestellte im Bildungswesen, im sozialen Bereich, dem Gesundheitswesen oder der Jugendarbeit liegen nicht selten eher unter dem Durchschnitt. Maßnahmen der Alterssicherung, des Arbeitsschutzes und andere soziale Absicherung können erst langsam eingeführt werden und sind für viele gar nicht abrufbar. Im privaten Bereich kommen die Explosion der Mietkosten (viele neue Mietverträge werden in den Städten von gewinninteressierten neuen Besitzern grundsätzlich nur zeitlich begrenzt vergeben) und der Mietnebenkosten dazu. Rentenbezieher stehen oft vor der Wahl, die Bezüge entweder für die Miete oder für Lebensmittel ausgeben zu müssen - der Absturz in private Schulden ist vorprogrammiert. Wer kann, versucht sich mit der Annahme mehrere Jobs parallel zu retten: Abends, in den Ferien oder einfach zwischendurch.
In den 80er Jahren hatten sich die Menschen, entmutigt durch den tristen Alltag des Sowjetsystems, zusammengefunden um gemeinsam zu neuer Stärke zu besinnen und Werte, für die sich Einsatz und persönliches Engagement lohnt. Heute prägen Eigensinn, große soziale Unterschiede und Konsumorientierung das tägliche Leben. Zwar gilt die Errungenschaft der demokratischen Freiheiten und Rechte als unumstritten - kaum jemand sehnt sich zurück zum alten System - aber die Spruchweisheit "jeder ist seines Glückes Schmied" wird leicht umdefiniert in "wer nicht für sich selbst sorgt, ist dumm". Korruption in Verwaltung und öffentlichem leben ist weit verbreitet, und sogar Spitzenpolitiker sind dadurch bekannt, dass sie sich beizeiten auf möglichst trickreichem Wege Vermögen, Eigentum, Grundstücke oder Firmenbesitz angeeignet haben. Politiker und Parteien fallen weniger durch ihre Visionen für die Zukunft als durch die persönliche Raffgier der Protagonisten ins Auge. Der auffälligste Unterschied zwischen den baltischen Staaten und anderen Republiken in Westeuropa ist das fast völlige Fehlen eines Mittelstands. Dennoch orientieren sich auch die Geringverdienenden, nach dem die alten, vertrauten Strukturen fast völlig zusammengebrochen sind, an der absoluten Notwendigkeit zu verstärkter Mobilität und Flexibilität: ein neues Auto, ein Handy und - in den Städten - ein Internetanschluss haben ihre Funktion nicht nur als Statussymbol, sondern machen auch den Zugang zu neuen Jobmöglichkeiten aus. Gleichzeitig machen sich hier auch die Kurzfristigkeit und Unverbindlichkeit dieser neuen Möglichkeiten fest. Landflucht und der daraus folgende Stadt-Land-Gegensatz sind aber eine weitere Folge.
Vielleicht sind diese Grundmerkmale des privaten und beruflichen Lebens ja unvermeidlich auf dem Weg zu mehr Demokratie und Wohlstand. Skizziert sind sie hier nur deshalb noch einmal, um die Ausgangssituation für gesellschaftliches, politisches oder gar gemeinnütziges Engagement klar zu machen.
Für manche ist ökonomische Tätigkeit allgemeingültigen Richtschnur der allgemeinen Entwicklung im Ostseeraum. Die CDU-Abgeordneten, die für die Große Anfrage 2000 an die Bundesregierung verantwortlich zeichneten, stellen ein Beispiel dar. Zitat: "Für die Lösung der Aufgaben, die durch die bisherigen Beschlüsse der Helsinki-Konferenz zur ökologischen Sanierung des Ostseeraums auch als Beitrag zur Agenda 21 des Ostseeraums gestellt sind, ist eine positive ökonomische Entwicklung eine unabdingbare Voraussetzung." In der auf diesen Satz folgenden Passage werden die vielfältigen Kontakte, die in den letzten Jahren zwischen den Menschen in den verschiedenen Ostseeanrainerstaaten entstanden und aufgebaut wurden, sogar unter dem schlichten Stichwort der "Reaktivierung alter Verbindungen und Handelswege" zusammengefasst. An dieser Stelle darf wohl die Frage erlaubt sein, ob nicht liebgewordene Ideologien den Blick dafür trüben, dass hier die Tatsachen auf den Kopf gestellt werden: Nicht wegen, sondern TROTZ dem Rückfall in alte ökonomische Mechanismen (Stichwort: Frühzeit-Kapitalismus) setzen sich heute Menschen für eine bessere Umwelt, den Erhalt der Naturlandschaften und Ökosysteme, die Pflege traditioneller Kulturgüter, für allgemeingültige Menschenrechte und gleichberechtigte Kontakte zu gegenseitigem Nutzen ein. Vielfach sind es sogar Einzelpersonen, die Zeit und Geld dafür verwenden, neue Wege für neue Ideen zu suchen, damit Kontakte und gemeinsame Projekte entstehen können. Dabei las sich doch die Zusammenfassung der Philosophie schon der alten Bundesregierung (deren scheinbaren Begeisterung für die Ostseekooperation) als durchaus realitätsnah: Nur wer ökonomisches Gewinnstreben nachweisen kann, durfte auch auf Unterstützung hoffen.
Stolz vermeldeten die CDU-Abgeordneten Börnsen & Co. 270% Steigerung deutscher Exporte in die baltischen Staaten zwischen 1993 und 1998. Sicherlich positiv, doch sollte auch nicht verschwiegen werden, dass kurz vorher die in der Umstellung begriffene baltische Wirtschaft fast völlig zusammengebrochen war: nach dem mißlungenen Moskauer Putsch von 1991 hatten die baltischen Staaten die Chance zur Wiederherstellung ihrer politischen Unabhängigkeit genutzt und bis 1993 jeweils ihre eigenen Währungen wieder eingeführt - allerdings um den Preis von durchschnittlich etwa 1000% Inflation zwischen 1992 und 1993. Dies war die Zeit, als 20 DM etwa einem baltischen Monatslohn gleichkam und in frisch gedruckten neuen Reiseführern stand, falls man als Reisender Schwierigkeiten bekäme, solle man "50 DM auf den Tisch legen".
Was lernen wir daraus? Zumindest eine gewissen Vorsicht gegenüber allzu überschwenglichen Statistiken. Andere Quellen besagen, dass zum Beispiel Lettland sich im Jahre 1999 gerade mal auf ca. 60% der Wirtschaftsleistung hochgearbeitet hatte, die das Land als Teil des sowjetischen Gefüge zuvor erbracht hatte (Latvian Ministry of Economy: Economic Development in Latvia; Juni 2000, Seite 17). Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) stellt in ihrem 1998 erschienenen "Investitionsführer Lettland" fest: "Ende 1993 machte das BIP im Vergleich zu 1990 real nur mehr die Hälfte aus" (OECD: Investitionsführer Lettland, S.47/48). Legiglich der Dienstleistungssektor machte ein rasantes Wachstum durch - allerdings auf Kosten anderer Bereiche wie der Landwirtschaft und der Industrie. Unangetastet von diesen Relativierungen bleibt jedoch, dass Deutschland bei der Umstrukturierung der baltischen Wirtschaft tatsächlich eine wichtige Rolle spielt - auch wenn deutsche Investitionen im Baltikum lange Jahre weit hinter den denen der nordischen Nachbarn zurückblieben (besonders wenn man sie ins Verhältnis zur Einwohnerzahl setzt). Eine kürzlich von der Delegation der Deutschen Wirtschaft in Estland, Lettland und Litauen veröffentlichte Untersuchung sagt aus, dass die unternehmerischen Aktivitäten deutscher Firmen in Lettland zu 42% im Dienstleistungs- und zu 36% im Bereich Im- und Export liegen (DIHT/AHK: Deutsche Direktinvestitionen in Lettland, September 1999, Seite 4). Dieselbe Untersuchung weist auch einige zwischenzeitliche Umorientierungen aus: Nicht nur aus norddeutschen Bundesländern wie besonders Hamburg, sondern auch aus NRW, Bayern, Baden-Württemberg und Berlin kommen die meisten Firmen. 58% der befragten Firmen geben, die "Ausschöpfung des lettischen Marktpotentials" sei der Hauptgrund für ihre Investitionen im Land. Den "Brückenkopf nach Russland" nennen nur noch 16% als Hauptbeweggrund. Diese Aussagen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung (Juni 1999) von der schlechten Geschäftslage in Russland maßgeblich beeinflusst: 62% beurteilten die Lage dort als "eher negativ".
Alles in allem bietet die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der CDU vom November 2000 eine gute Gelegenheit für einen Überblick zu gegenwärtig von der Bundesregierung ins Auge gefaßten Themen der Ostseekooperation. Die CDU selbst gibt, eingebettet in die der Fragestellung beigefügte Lagebeurteilung, ebenfalls einige Schwerpunktthemen vor. Vordringliche Themen der CDU sind demnach
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Im folgenden versuche ich, die Sicht der Bundesregierung (fortan kurz BR genannt) so kurz wie möglich zusammenzufassen und in den Zusammenhang der uns aus anderem Zusammenhang bekannten Diskussion zu stellen.
1.) Aus welchen Quellen speisen sich die Informationen der Bundesregierung?
Die Bundesregierung definiert die Zusammenarbeit im Ostseeraum über folgende Faktoren:
Die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union (EU) und der dadurch sich ergebende Kontakt zu den Regierungen
Die Arbeit im Zusammenhang mit dem Aktionsplan der EU "Nördliche Dimension"
Diese Äußerungen klingen wenig sensationell, und sie sind es tatsächlich auch nicht. Hier wird nichts anderes gesagt als der Tatsache Ausdruck verliehen, dass man die Ostseekooperation als Bestandteil des Tagesgeschäfts ansieht. Ein spezieller deutscher Beitrag zur besseren Verflechtung der Ostseekontakte war und ist ebensowenig zu erkennen, wie auf irgendwelche speziellen Einrichtungen zum ständigen Austausch zwischen den Bundesländern zu diesem Thema verwiesen werden kann. Schon hier wird die Haltung der Bundesregierung deutlich, dass keine speziellen Maßnahmen zur Förderung der Ostseekooperation nötig sind, da man sich ja an den europaweit eingerichteten Gremien beteilige.
2.) Wie bewertet die BR die Situation in den Ostseestaaten, welche Ziele hat sie?
Als Quellen der Information werden hier die vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) herausgegebenen "Human Development Reports" zitiert. Ein ebenso typisches Beispiel, denn diese Berichte werden in der Regel nur in Englisch und in der Landessprache des betreffenden Landes herausgegeben. Die BR scheint sich damit abgefunden zu haben: Wer sich näher für die Situation beispielsweise in den baltischen Staaten interessiert, der/die muss fremdsprachliche Literatur studieren. Eigene Informationsquellen, die über allgemeine Zahlen und Übersichten hinausgehen, gibt es nicht - zumindest nicht für die deutsche Öffentlichkeit. Wo kein Mangel erkannt wird, da kein Handlungsbedarf.
Die BR betont außerdem, dass die bis 1998 geltenden Zielsetzungen für den Ostseeraum fortgeführt würden, und daher keiner gesonderten Erwähnung in der Regierungserklärung bedurft hätten. Damit wird gleichzeitig klar, dass auch keine ZUSÄTZLICHEN Initiativen geplant sind.
Die BR stellt heraus, dass ihrer Meinung nach vor allem die norddeutschen Bundesländer von einer positiven Entwicklung im Ostseeraum profitieren. Sicherlich wird dies deshalb betont, damit auch die Verantwortlichkeiten für Vorleistungen oder gesonderte Initiativen auf die Bundesländer geschoben werden können. Die von den Außenhandelskammern selbst herausgegebenen Zahlen sprechen jedoch - zumindest teilweise - dagegen: was für die bloßen Warenströme richtig sein mag, gilt nicht für die beteiligten Firmen, deren Sitz heute immer häufiger in den Bundesländern zu finden ist, wo auch insgesamt die stärksten Wirtschaftsleistungen erbracht werden (z.B. NRW, Bayern, Berlin).
Bezüglich der wirtschaftlichen Aktivitäten die Dienstleistungen der Auslandshandelskammern und der Vertretungen der Deutschen Wirtschaft, vielfach aus TRANSFORM-Fördermitteln bezahlt.
Der Besuch von Bundeskanzler Schröder in den baltischen Staaten im Juni 2000 als "erster Besuch eines deutschen Bundeskanzlers in Estland, Lettland und Litauen". Ergebnisse dieses Besuchs werden nicht aufgeführt. Abgezielt ist mit der Erwähnung sicherlich auf die Amtszeit des Amtsvorgängers Kohl, der für einen offiziellen Besuch in den baltischen Staaten nie Zeit fand - mit Ausnahme eines Ostseeratstreffens in Riga, wo er allerdings hauptsächlich um die russischen Gesprächspartner bemüht war. Dies stand unter Fachleuten lange im Gegensatz zum leicht dahergesagten Satz "Deutschland ist der Anwalt der Balten".
Die Einrichtung von "Eurofakultäten", ein seit 1995 bestehendes Projekt zur Modernisierung der Lehrinhalte und -methoden in Estland, Lettland und Litauen. Auch die wissenschaftliche Kooperation stützt sich - wie auch der Studentenaustausch - inzwischen zumeist auf Förderprogramme der EU.
Die Gemeinschaftsinitiative der EU zur regionalen, grenzüberschreitenden Zusammenarbeit INTERREG, die in der Förderphase ab 2000 mit höherer Dotierung weitergeführt wird.
Ein Aktionsplan der Handels- und Wirtschaftsministerkonferenz, der auf Verbesserung der Grenzabfertigung im Güterbereich, Zertifizierungsfragen, Kampf gegen Korruption, Schutz geistigen Eigentums und Verbesserung der Bedingungen für kleine und mittlere Unternehmen abzielt.
Der Beitritt Polens, Litauens, Lettlands und Estlands darf keine neue Grenzen entstehen lassen.
Die Entwicklung des Ostseeraums soll nachhaltig, d.h. unter Wahrung des natürlichen und kulturellen Erbes der Region vorangetrieben werden.
Einbeziehung der Russischen Föderation und seiner nordwestlichen Regionen in die regionale Kooperation ist eine notwendige Voraussetzung von Stabilität und Wachstum sowie den Abbau wirtschaftlicher Disparitäten in der Ostseeregion. Wenigstens dies klingt klar und verständlich: nichts geht ohne die Russen.
Abbau der Handelshemmnissen (rechtliche Rahmenbedingungen, infrastrukturelle Voraussetzungen wie Verkehr, Energie, Telekommunikation, Grenzübertrittsbedingungen).
3.) Wer kümmert sich im Auftrag der BR um Koordinierung der Ostseeaktivitäten?
Seit der Etablierung des Ostseerats als Rat der Außenminister ist das Auswärtige Amt das federführende Bundesressort, das "sich auch um Koordinierung bemüht". Die zuständige Arbeitseinheit ist das Referat 214.
Für die Dauer der deutschen Präsidentschaft im Ostseerat wurde ein "Botschafter zur besonderen Verwendung" als Ostseebeauftragter berufen - Herrn Dr. Jürgen Heimsoeth. Herr Heimsoeth ist auch gleichzeitig Vorsitzender des Ausschusses Hoher Beamter des Ostseerats. Ein absehbares Ergebnis wird es sein, eine Liste mit allen für Ostseefragen zuständigen MitarbeiterInnen in den verschiedenen Ministerien zu erstellen (sogenannte "Kontaktliste").
Für die Zeit nach Ende der deutschen Ostseeratspräsidentschaft ist bisher kein dauerhafter Ansprechpartner für Ostseekooperation benannt worden. Ostseefragen werden auf Bundesebene also offensichtlich noch immer sehr kurzatmig behandelt - Anprechpartner für Rat- und Informationssuchende gibt es auf deutscher Seite nicht. Wo persönliche, verbindliche und ernstzunehmende Unterstützung für die aktuell anliegende Arbeit der NGOs fehlt, flüchtet man sich gern in virtuelle Welten des Internets: Die offizielle Webseite des Ostseerats, www.baltinfo.org, wird vom Büro des Ostseerats betreut und enthält zwar eine Unmenge verschiedener Papiere und Dokumente aus der Ostseeratsarbeit, kommt aber selten über ihren reinen Verlautbarungscharakter hinaus.
4.) Will die Bundesregierung die Entwicklung im Ostseeraum speziell fördern?
Einfache Antwort: Nein! Hier schimmern nun wirklich die Argumentationsstränge durch, die auch vor Jahren von der alten Bundesregierung vorgebracht wurden, wenn NGOs einmal um Förderung ihrer Aktivitäten baten. Diese Argumente wurden nicht immer offen ausgesprochen, sind aber in verschiedenen Strategiepapieren einzelner Ostseeakteure durchaus so zu finden.
Es sollte sich also lohnen, einmal einige Eckpunkte der Kooperation im Ostseeraum (und besonders in bezug auf die baltische Region) einmal näher zu betrachten:
Zum Zeitpunkt der "Wende" bzw. des Zusammenbruchs der Sowjetunion waren NGOs nicht vertrauenswürdig. Sie hatte vielfach illegal in den 80er Jahren schon jahrelang gearbeitet (wie z.B. Initiativen für Umweltschutz), kamen aber Anfang der 90er Jahre nicht automatisch zu Macht und Einfluss. Während die interessierten Gäste aus dem Westen sattelfeste und erfahrene Gesprächspartner suchten, welche die finanziellen Zuwendungen (die man gerne geben wollte) verantwortungsvoll verwalten konnten, herrschte in den baltischen Staaten noch der Schrecken vor dem "Organisierungszwang". Die Menschen im Baltikum wollte gern Einzelcharakteren vertrauen, die sich auch in schwieriger Zeit bewährt hatten, - statt dessen füllten vielfach solche Personen die freiwillig überlassenen Lücken, die sich nur selbst bereichern wollten. So waren zunächst auch NGOs selbst im eigenen Lande verdächtig, nur für die eigenen Interessen zu sorgen. Nicht der Zusammenschluss der Interessen, sonder die Vereinzelung war populär. Konsequenz: Man suche sich lieber einen "Repräsentanten" der eigenen Interessen, als sich möglicherweise wechselnden Beschlüssen derjenigen auszusetzen, die Demokratie erst noch lernen wollten. Diese Entwicklungen in den 90er Jahren wären aber eine genauere Untersuchung wert - da reichen meiner Meinung nach die ehrenhaften "Human Development Reports", die lediglich Statistiken zusammenfassen, nicht aus.
Diejenigen in den baltischen Staaten, die sich einer gesellschaftlichen Verantwortung stellen, merken sehr bald, wie kurzfristig und oberflächlich oft die Interessen des Westens gelagert sind. Anfangs, zu Zeiten des Zusammenbruchs und der Krise, ist schnelle humanitäre Hilfe populär. Doch gerade die Deutschen, die mit den Deutschbalten (ehemals im Baltikum lebenden Deutschen) eine angeblich einflussreiche Lobby für die baltischen Interessen haben (immerhin wurde z.B. der Bruder von Otto Graf Lambsdorff, Hagen Graf Lamsdorff, erster deutscher Botschafter in Lettland) lassen das Interesse für die spezielle Interessenlage der Esten, Letten und Litauer vermissen. In Zeiten, in denen der deutsche Kanzler Kohl sich gern mit seiner Männerfreundschaft Jelzin zeigte und Sozialdemokraten sich am liebsten an die Ostpolitik der 70er Jahre erinnern (mit Putin Schlitten fahren), werden die Deutschen statt zum "Anwalt der Balten" zum Verwalter russischer Stimmungslagen. An der östlichen Ostsee übernehmen Dänen, Finnen, Schweden, Engländer, US-Amerikaner und sogar Asiaten die Führungsrollen - zwar bleibt Deutschland aufgrund seiner Finanz- und Exportkraft ein bestimmender Faktor, aber verglichen mit den etwas rückständig wirkenden Träumen, man brauche ja nur die alten deutschen Ortsnamen wieder hervorzuholen, um sich als Baltikum-Kenner hervorzutun (auch die deutsche Sprache sahen manche als wieder aufstrebende Kommunikationssprache des Ostseeraums), wirkt das Ergebnis zumindest aus baltischer Sicht eher ernüchternd. Geistige Inspirationen gehen von den deutschen Aktivitäten wenig aus: Spendengelder für dankbare Empfänger sind schnell gesammelt, aber für die Kulturtraditionen und speziellen Erfahrungen der drei baltischen Staaten interessieren sich nur wenige. Viele an der Ostsee tätige Deutsche - auch manche Politiker darunter - werfen den Balten lieber lauthals vor, diese sollten doch lieber erst mal sich "mit den Russen wieder vertragen" und ökonomisch die Brückenfunktion nach Osten gefälligst wieder einnehmen, bevor Litauen, Estland und Lettland als Europa wieder zugehörig betrachtet werden könnten. Was wundert es da, wenn NGOs, in denen sich Menschen für ihre eigenen Interessen engagieren, nicht beachtet werden? Deutsche Organisationen gründen lieber eigene "Filialen" mit handverlesen ausgebildeten baltischen Mitarbeitern, die natürlich fliessend Deutsch können müssen.
Wenigstens einen Grund gibt es, die Arbeit von NGOs ernst zu nehmen: Das Argument der Sicherheitspolitik. Dort, wo eine pluralistische, demokratische Gesellschaft gerade am Anfang steht, sind Ventilfunktionen gefragt. Wer um einen Ausgleich der Interessen mit Worten ficht, greift nicht so schnell zu Mitteln des Umsturzes. So sehen es wenigstens die Strategen der NATO.
Die alte wie die neue Bundesregierung wird nun nicht müde zu betonen, dass Deutschland schließlich der größte Nettozahler der Europäischen Union sei. Zudem werde eine Reihe von Maßnahmen der Wirtschaftsberatung in den Transformationsländern finanziert. Schlussfolgerung der BR: Ein spezielles Programm zur Förderung der Ostseekooperation sei nicht nötig. Meiner Ansicht nach machen die Verantwortlichen hier gleich mehrere Fehler auf einmal.
Eine Analyse des Zustands der Ostseekooperation aus deutscher Sicht wird erst gar nicht versucht! Statt dessen zählt man endlos die existierenden internationalen Organisationen auf, an denen Deutschland irgendwie partizipiert. Abgesehen davon, dass die von deutscher Seite eingebrachten Beiträge fast durchweg entweder von staatlichen Stellen oder von der Wirtschaft geleistet werden (die ihre eigenen Interessenorganisationen sponsert), wird hier so getan, als ob sich die Wahrnehmung der Interessen der Ostseeanrainer durch die schlichte Ausweitung der EU quasi von selbst ergäbe. Vielleicht soll ja das Motto gelten: Entweder sie treten bei, dann müssen sie sich uns anpassen (wobei wir ihnen natürlich gerne helfen), oder sie entscheiden sich dagegen (gibt es etwa EU-Gegner in den baltischen Staaten?), dann sind sie schließlich selbst Schuld. Statt der vorschnellen Schlussfolgerung, dass sich ein gesondertes Programm von selbst erübrige, ist also eine Verstärkung beider möglicher Handlungsstränge nötig:
Die verstärkte Koordinierung und Ausnutzung existierender EU-Förderprogramme nicht nur für die baltischen Zuwendungsempfänger, sondern auch zugunsten der realen oder möglichen deutsche Partner, die sich um Ostseekooperation kümmern.
Die Analyse der Ostseekooperation aus deutscher Sicht, und zwar weniger gemessen nach der Summe der Zahlungskraft ökonomischer Global Player, sondern der kreativen Vielfalt der Interessen und Aktivitäten der im Ostseeraum lebenden Menschen.
Die Dokumentation und Unterstützung von NGO-Kontakten durch unabhängige Einrichtungen, die Informationen, Adressen und Arbeitsmittel bereitstellen können.
5.) Werden Erfahrungen anderer abgerufen und genutzt?
Ein weiterer wichtiger Punkt ist bisher dabei noch von keiner Seite erwähnt worden. NGO-Förderung hat in anderen Ländern der Ostsee längst einen höheren Stellenwert als in Deutschland. Vor allem scheuen sich andere Ostseeanrainer nicht, auch freie Interessengruppen in den Transformationsstaaten rückhaltloser und ohne Vorbedingungen so gut es geht zu unterstützen. Richtschnur ist dabei besonders die Kontinuität der Kontakte als die Summe Geld, die dabei ausgegeben wird. Tatsache bleibt:
An den wichtigsten Projekten zur Unterstützung von Nicht-Regierungsorganisationen in den baltischen Staaten waren deutsche Stellen nicht beteiligt.
Damit sind vor allem die Mitte der 90er Jahre gegründeten NGO-Zentren in Tallinn, Riga und Vilnius gemeint. Gerade an diesem Beispiel wird deutlich, wie wenig der regierungsamtlich verordnete Rückzug auf "vorhandene EU-Förderprogramme" greift: Während internationale Organisationen wie das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) oder die Delegation der Europäischen Kommission diese Zentren aktiv förderten, musste man vergeblich auf eine Beteiligung von deutscher Seite warten. Während einflussreiche Organisationen aus anderen Ländern, wie etwa die US-Baltic Foundation, die dänische Regierung, die norwegische Botschaft oder die Soros-Stiftung sich aktiv beteiligten, hatten deutsche Partner offensichtlich keine Mittel dafür. Im lettischen NGO-Zentrum Riga wurden allein 1997 über 600 Organisationen, gemeinnützige Initiativen, Stiftungen und andere Interessengruppen registriert, im gleichen Jahr wurde eine Zusammenfassung von deren inhaltlicher Arbeit als Handbuch veröffentlicht. Jährlich werden in Lettland "NGO-Foren" veranstaltet, die Geschäftsstelle in Riga stellt den Mitgliedsgruppen kostengünstig einen Internet-Zugang, die Miete von Räumlichkeiten und den Besuch von Weiterbildungskursen bereit. Schon aus diesem Grunde ist die Ankündigung der Veranstaltung von Lübeck im Mai 01 als "erstes NGO-Forum" schlicht völlig falsch und zeugt von der Unkenntnis, die bei den Verantwortlichen vorherrscht. Dazu kommt auch, dass Ende März 01 in Kopenhagen eine ganz ähnliche Veranstaltung von dänischer Seite organisiert wird.
So kann man sich ja nun, wo es um eine Situationsanalyse der NGO-Arbeit rund um die Ostsee gehen soll, möglicherweise verschiedenen neue Ideen ausdenken - nur sollten die Verantwortlichen bitte nicht so tun, als ob sie nicht wüssten, an wen sie sich wenden können und wo jahrelange Erfahrungen abzurufen sind.
Auch andere bereits seit Jahren laufende Projekte, die indirekt NGOs fördern (teilweise, indem sie deren Wissen und personelle Kapazitäten mit nutzen, teilweise, in dem sie ihre Untersuchungsergebnisse einem breiten Nutzerkreis zur Verfügung stellen), werden bisher von deutscher Seite kaum wahrgenommen. Besonders krass wird dies an einem Punkt deutlich, den die deutsche Ostseepräsidentschaft selbst zu einem der Schwerpunkte ihrer Arbeit bis Juni 2001 erklärt hat: dem Umweltschutz und der nachhaltigen Entwicklung der Ostseeregion ("Baltic 21"). Hier flüchtet sich die BR in der bereits oben zitierten Antwort auf die Große Anfrage der CDU auf die Frage, wie deutsche Umweltpolitik zu Verbesserungen beigetragen habe, in Allgemeinplätzen über die Sichttiefe im Ostseewasser, der Möglichkeit der Verarmung des Artenspektrums und Grundsätzen der Helsinki-Kommission (HELKOM). Merkwürdigerweise werden einige konkrete Projekte, die durchaus mit Beteiligung deutscher Stellen ins Leben gerufen worden sind, mit ignoranter Nichterwähnung abgestraft. Beispiele: das Baltic Environmental Forum (BEF) unterstützt die Fortbildung von Fachleuten der Umweltverwaltungen aller drei baltischen Staaten (gefördert u.a. vom Bundesumweltamt und der Landesregierung Schleswig-Holstein), die von der EU geförderten Umweltzentren ECAT (Environmental Centre for Administration and Technologie) führen bereits seit Jahren das Fachwissen von Umweltexperten zusammen (z.B. in Riga, Kaunas, Kaliningrad, St. Petersburg) - in Riga wurden die ersten drei Projektjahre vom Bremer Umweltsenator koordiniert, in Kaliningrad macht dies Bremerhaven, in Kaunas das bayerische Umweltministerium, in St. Petersburg war es Hamburg. Allerdings muss auch zugestanden werden, dass man sich mit direkter NGO-Unterstützung auch hier immer schwer tat: Während zumindest die ersten in diesen Einrichtungen eingesetzten Umweltexperten aus dem NGO-Bereich rekrutiert wurden (schließlich war die baltische Umweltbewegung Anfang der 90er Jahre eine der Säulen der Unabhängigkeitsbewegung gewesen und hatte viele Umweltthemen bereits gut aufgearbeitet), konzentrierte man die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel schnell auf die Amtsbürokratie und -verwaltung, statt auf freie Gruppen. Konsequenterweise setzt sich dies auch bei den Antworten der BR zu den bisher erreichten Zielen im Umwelt- und Ostseeschutz fort: aufgezählt werden Beteiligungen an Gremien und Arbeitskreisen, Kommissionen und Ausschüssen. Zitiert werden gemeinsam verabschiedete Papiere, deren Schlussfolgerungen bisher entweder nicht umgesetzt wurden oder gar nur "Empfehlungen" enthalten. Umweltbürokratie als Leistungsnachweis?
6.) Wird nachhaltige Entwicklung ernst genommen?
Endgültig widersprüchlich wird es dort, wo die Bundesregierung dann
konkrete Themen benennt: So wird etwa auf ein angeblich bereits seit 1997 laufendes und
von der BR verabschiedetes Lachsschutzprogramm hingewiesen, nach dem ein Aktionsplan bis
2010 zum Schutz der Lachse insbesondere in Flussmündungen sorgen soll. Im krassen
Gegensatz dazu stehen Aktivitäten deutscher Unternehmen wie der HAASE GmbH in
Nordlettland. Dort soll der naturnahe Flusslauf der Salaza (Nordlettland), einem der
wenigen Flüsse mit natürlicher Lachspopulation im gesamten Ostseeraum, aufgestaut
werden. Die deutsche Firma Haase will durch ein neu zu errichtendes Stauwerk Strom
gewinnen, dessen Produktion sich so wenig lohnt, dass erst durch ein Sondervertrag mit der
lettischen Regierung der dreifache Stromabnahmepreis garantiert werden soll. Der Clou
dabei: Damit es sich für die deutsche Firma richtig lohnt, soll gleich nebenan eine Firma
zur Herstellung von PVC-Fenstern entstehen, und das in einem Land, das 25% seines Export
mit Holz bestreitet. Zu fragen wäre außerdem, ob diese Firma aus Neubrandenburg
Fördergelder der Bundesregierung für dieses Projekt in Anspruch nimmt. Wo bleibt hier
die Durchsetzung des Konzepts der Nachhaltigen Entwicklung?
Auch die an anderer Stelle so gelobten Projekte des
INTERREG-Programms sind für NGOs in der Regel unerreichbar: Zwar könnten sie Konzepte
der Nachhaltigkeit fördern, dienen aber nahezu ausschließlich der Unterstützung der
Planungsbürokratie und der Verwaltungen. Schon von der Dimensionierung der Einzelprojekte
her sind NGOs als Träger solcher Projekte nicht vorgesehen: Wo Gruppen vor Ort ihre
Interessen beginnen zu entwickeln, da entdecken die Förderprogramme die Globalisierung
(sog. grenzüberschreitende Zusammenarbeit). Hinzu kommt, dass NGOs schon grundsätzlich
dort nicht unterstützt werden, wo sie nicht die rückhaltlose Unterstützung der
zuständigen Behörden haben - ein Teufelskreis, denn Aktivitäten, denen keine
Finanzierungsstrategie und kein Eigenkapital vorweisen können, haben vor Ort erst gar
keine offizielle Anerkennung zu erwarten.
Ein weiteres Kennzeichen von NGO-Aktivitäten ist es, dass sie oft
dort eingreifen, wo staatliche oder privatwirtschaftliche Konzepte versagen: im sozialen
Bereich, im Umweltschutz, in der Kultur. Alle diese drei Bereiche gehören unbezweifelbar
zu einem nachhaltigen Entwicklungskonzept: Die Nichtbeachtung von NGO-Projekten auf diesem
Gebiet spricht für sich selbst.
Im sozialen Bereich
Im kulturellen Bereich
Im ökologischen Bereich
Allen drei Bereichen
ist gemeinsam, dass sie auf netzwerkähnliche Ansätze, auf Erfahrungsaustausch und flexible Informationsmöglichkeiten angewiesen sind,
weder bloßes Beharren auf einem eigenen Standpunkt noch Ausgleich der Argumente durch materielle Werte sehr viel weiter helfen,
sowohl persönliche wie auch direkte menschliche Kontakte wichtig sind, um realistische Einschätzungen von der Umsetzbarkeit der verschiedenen Ideen zu bekommen.
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Literaturauswahl:
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Gundar Uldall, Ulrich Adam, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU; Drucksache 14/2293 vom 1.11.2000.
Alfred Eberhardt, Auswärtiges Amt: Conceptional Framework for an Baltic Sea Collaboration NGO Conference in Juni 2001; Oktober 2000.
AGENDA der Beziehungen Deutschlands zu den baltischen Staaten, Auswärtiges Amt 1998.
Investitionsführer Lettland. OECD-Zentrum für die Zusammenarbeit mit den Nichtmitgliedsländern, 1998.
Investitionsführer Estland. OECD-Zentrum für die Zusammenarbeit mit den Nichtmitgliedsländern, 1997.
Investitionsführer Litauen. OECD-Zentrum für die Zusammenarbeit mit den Nichtmitgliedsländern, 1998.
Economic Development in Latvia. Ministry of Economy, Republic of Latvia, June 2000.
Deutsche Direktinvestitionen in Lettland. Delegation der Deutschen Wirtschaft in Estland, Lettland und Litauen (DIHT/AHK), September 1999.
Die baltischen Staaten - Entwicklungskonzepte im Dialog. Handbuch der deutsch-baltischen Beziehungen. Heinrich-Böll-Stiftung & Baltisch-Christlicher Studentenbund, Bonn 1995.
Directory of Latvian non-governmental organisations. NGO-Centre Riga 1997.
NGO-Center Riga: Jahresberichte.
Tampere-Declaration: NGO Forum 2000. Peace, Welfare, Sustainable Development and Participation. Tampere, Finnland, Dezember 1999.
The Non-Governmental Organisation Information and Support Center, Vilnius: Fifth anniversary -1995-2000.
Caspari, Albert: Blick nach Nordost - warum ist Frieden und Verständigung an der Ostsee für die Deutschen wichtig? In: SECURITAS BALTICA, Security in the Baltic Region. Söderström AB, Stockholm 1996.
Handbuch Baltikum-Kontakte. Institutionen, Projekte, Initiativen. FIBRE-Verlag Osnabrück 1997, in Zusammenarbeit mit dem Verein INFOBALT, Bremen.
INFOBALT.DE - INFOBLATT BALTISCHE STAATEN. Zeitschrift für Politik, Kultur und Umwelt der baltischen Staaten Estland, Lettland und Lituauen, herausgegeben 2x jährlich vom Verein INFOBALT, Bremen.
An Agenda 21 for the Baltic Sea Region - Baltic 21. Beschlüsse der 7. Ministerratskonferenz des Rats der Ostseeanrainerstaaten in Nyborg, 22./23. Juni 1998. Herausgegeben von: Baltic 21 Sekretariat, Schwedisches Umweltministerium. Strömsborg, Stockholm 1998. Ebenfalls dort: Baltic 21 Newsletter.
CCB Newsletter. Vierteljährliche Zeitung des Zusammenschlusses der Ostsee-Umweltorganisationen "Coalition Clean Baltic" (CCB).
Baltic Sea Dialogue. Newsletter for Adult Learning in the Baltic Sea Area. Erscheint zweimal im Jahr bei: Nordic Folk Akademy, Göteborg.
BUND / FOE Germany: Billions for Sustainability? EU Regional Policy and Accession. Abschlußbericht eines Projektes aus Anlass der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 1999. [Enthält positiv-negativ Beispiele u.a. aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Schweden und Deutschland.]
Finnish Environmental Institute: Raising environmental awareness in the Baltic Sea area. Helsinki 1999. [Enthält Ergebnisse einer Umfrage unter entsprechenden Organisationen aller Ostseeanrainerstaaten.]
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