Nach Lübeck - Was nun?

In Lübeck fand das erste vom Ostseerat initiierte Treffen von Nichtregierungsorganisationen statt:

Ostseekooperation als demokratischer Seismograph
"Die nächste Konferenz müssen wir nun selbst organisieren"

Bericht von ALBERT CASPARI  

Nachdem bereits im März in Kopenhagen ein Treffen der Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus der Ostseeregion stattgefunden hatte, waren bei einem weiteren Treffen in Lübeck im Mai sogar mehr als 100 Aktivisten aus verschiedenen Bürgergruppen rund um die Ostsee vertreten. Es handelte sich dabei sicher nicht um das erste “NGO Forum”, denn solche Foren haben in vielen Ostseeländern eine Tradition, die - anders als in Deutschland - über Jahre zurückreicht. Aber es war das erste NGO Forum, das der Ostseerat veranstaltete und finanzierte. Die deutsche Präsidentschaft im Ostseerat, die Anfang Juni endete, hatte die NGOs - die englische Abkürzung für "Nichtregierungsorganisationen" - zur "Chefsache" erklärt.

Während ihrer Ratspräsidentschaft wollte die politische Führung des Auswärtigen Amtes, neben der Unterstützung von Wirtschaft und Wissenschaft, ein Zeichen setzen, dass der Aufbau demokratischer Gesellschaftsstrukturen und die Arbeit von Bürgergruppen der besonderen Beachtung bedarf. Dr. Hans Jürgen Heimsoeth, seines Zeichens Sonderbotschafter der Bundesregierung für die Ostseeratspräsidentschaft, stand vor der schwierigen Aufgabe, dem Ministergipfel des Ostseerats ein NGO-Papier zu genau den Themen vorlegen zu müssen, die sich die Bundesregierung als dringlich zurechtgelegt hatte.

Die Themen der Lübecker Konferenz klangen vertraut: Umwelt und nachhaltige Entwicklung sind zwar als Vorrangthema weitgehend anerkannt, aber die im Laufe der 90er Jahre erarbeitete "Baltic 21" (als staatenübergreifende regionale Variante einer Agenda 21 für nachhaltige Entwicklung) ist weit entfernt von der Umsetzung. Menschenrechte, Rechte von Frauen, Kindern, MigrantInnen und Minderheiten sind zwar als generelles Problem von vielen Kommissionen und Institutionen thematisiert und benannt, aber die Einbeziehung von Vorschlägen und Analysen nichtstaatlicher Gruppen ist in vielen Ostseeländern keineswegs selbstverständlich. Zum Jugendaustausch gibt es zwar bereits Förderprogramme der Europäischen Union, die generelle Situation von Jugendlichen ist in vielen Ländern aber eher als schwierig zu bezeichnen, Austausch von Jugendgruppen wird von vielen bürokratischen Regelungen behindert, und die Idee einer Ostseejugendstiftung wird inzwischen gar nicht mehr von Regierungsseite erwähnt.

Trotz der scheinbaren generellen Übereinstimmung bei den anliegenden Themen produzierte das Treffen von Lübeck - abgesehen von einem Thesenpapier - alles andere als allgemeine Einigkeit. Da stolperte die Regierungsseite aus offensichtlich mangelnder Vertrautheit mit dem Thema und mit dem bevorstehendem Kreis von Gesprächspartnern zunächst einmal über die Tatsache, dass ein lange geplantes ostseeweites NGO-Forum zuvor bereits von dänischen Initiatoren organisiert worden war.

Dieses NGO-Treffen in Kopenhagen im März 2001 hatte ein konkretes Ergebnispapier vorgelegt. In Lübeck gab es viele Stimmen, die dieses Papier bekräftigen wollten, doch leider scheiterte ein formaler Beschluss der Lübecker Versammlung an der deutschen Veranstaltungsleitung. Die Gründe dafür blieben unverständlich, denn sowohl das Kopenhagener wie das Lübecker Ergebnispapier enthielten ähnliche Forderungen.

Ebenfalls nicht aufgelöst wurde die Widersprüche, die schon die Bundestagsdiskussion zum Thema Ostseekooperation ausgelöst hatte: Auf die Anfrage der CDU/CSU-Opposition, ob denn ein Förderprogramm zur Ostseekooperation, ähnlich den Programmen skandinavischer Länder, aufgelegt werden solle, antwortete die Bundesregierung mit einem klaren "Nein".

Fragwürdig war auch die Unterscheidung in wichtige und weniger wichtige NGOs durch das deutsche Auswärtige Amt. Auf diese Weise wurden einige in das Vorbereitungskomitee berufen, andere erhielten noch nicht einmal eine Einladung zur Konferenz.

So hat sich denn auch an der allgemeinen Lage engagierter BürgerInnen- und Projektgruppen wenig geändert: Die einen fragen immer noch verwundert nach, wenn Sie von angeblich steigendem Interesse des Ostseerats an der Förderung ihrer Arbeit hören, andere haben die vorübergehenden Aufgeregtheiten schnell zu den Akten gelegt und versuchen sich auf ihre regionalen und fachlichen Schwerpunkte zu konzentrieren - für die sich von deutscher Regierungsseite eben doch eher selten jemand im längerfristigen Sinne zu interessieren scheint. Akzeptiert von Politik und Medien sind entweder Projekte zur Behebung kurzfristiger sozialer Notlagen oder die pure Wirtschaftsförderung.

"Erstes CBSS NGO-Forum" nannte sich die Veranstaltung von Lübeck. Eine Aufforderung an den Ostseerat, wenigstens die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Bürgerdialog endlich eingeleitet wird? Jedoch wurde die Frage konkreter finanzieller Zusagen für den weiteren Dialog und die ostseeweite Vernetzung der Bürgervereinigungen fast durchweg ausgeklammert.

Selbst die Ansprechpartner für das Ostseethema scheinen von begrenzter Zuständigkeit: Was passiert nach der deutschen Ratspräsidentschaft? Wer führt den für so wichtig erachteten Dialog mit den Bürgergruppen fort? Deutschland hat nun die Ratspräsidentschaft weiter an Russland gegeben - eine Herausforderung an russische Initiativgruppen, ihre Stimme ebenfalls hörbar zu machen.

"Die nächste Konferenz müssen wir nun selbst organisieren", war aus Teilnehmerkreisen vielfach zu hören. Ob aber wenigstens dafür die jeweiligen Regierungen Unterstützung bereitstellen? Viele der regierungsamtlichen Teilnehmer hielten sich bedeckt und bezeichneten sich lediglich als "Beobachter".

Viele Fragen blieben offen. Einige Länder wollen zunächst nationale "NGO Foren" gründen, bevor am Netzwerk weiter gebastelt werden wird. Auch die Organisatoren der Konferenz von Kopenhagen kündigten an, weitermachen zu wollen. Trotz einiger auf den beiden Treffen erarbeiteter inhaltlicher Papiere blieb bezüglich der Erfolgschancen dieser Absichtserklärungen vieles im Unklaren.