Internationaler Schutz für Nord- und Ostsee – Seefahrt im (Meeres)schneckentempo

“Ostsee = schmutzigstes Meer der Welt” – So titelte der SPIEGEL im Juli 1973 und berief sich dabei auf Angaben der Welternährungsorganisation FAO. Eine alarmierde Belastung des Meeres mit unzureichend geklärten Abwassern, Phosphaten und Nitraten, chlorierten Kohlenwasserstoffen und Schiffsabfällen war Hintergrund dieser Meldung. Umfassende Sanierungsprogramme und klare politische Entscheidungen seien notwendig, zitierte die Zeitschrift zahlreiche Meeresschutzexperten. Die Forderungen von Wissenschaftlern und Umweltverbänden blieben nicht völlig ungehört. In den siebziger Jahren brachten Politiker gleich mehrere internationale Meeresschutzabkommen nicht nur für die Ostsee (Helsinki-Konvention, 1974), sondern auch für Nordsee (Oslo-Konvention, 1972 und Paris-Konvention, 1974) und gegen die Verschmutzung der Meere durch die Schifffahrt (Marine Pollution Act, MARPOL, 1973) allgemein auf den Weg.  Gerade für die Ostsee war dies kein ganz einfaches Unterfangen, da auch die damalige DDR, Polen und die Sowjetunion für das gemeinsame Abkommen gewonnen werden mußten. Allerdings blieb der Erfolg dieser Vereinbarungen zunächst spärlich. Der Zustand der beiden nordeuropäischen Küstenmeere verschlechterte sich sogar noch weiter. Wohl gelang es nach und nach, die Abwasserklärung zu verbessern und die Konzentrationen von besonders gefährlichen Giftstoffen wie DDT,  PCB und von einigen Schwermetallen in den Meeresökosystemen zu reduzieren, von einem Durchbruch im Meersschutz konnte aber weder an der Nordsee noch an der Ostsee die Rede sein. Dies lag allerdings weniger an der kompetenten Arbeit der für die Umsetzung der eingesetzten Kommisionen (Helsinki-, Oslo- und Pariskommision), als vielmehr an der mangelnden politischen Bereitschaft, deren Empfehlungen auch in nationales Handeln umzusetzen

Mit dem Robbensterben und der “Algenpest”  Ende der 80er Jahre erhielten die Forderungen nach wirkungsvolleren Maßnahmen zum Schutze von Nord- und Ostsee Rückenwind. Nicht zuletzt unter dem zunehmenden Druck der Umweltverbände vereinbarten die Ostseeländer 1988 schließlich auf Regierungsebene, den Schadstoffeintrag in das kleine Meer bis 1995 um 50% zu reduzieren. Gleichzeitig wurde eine Neufassung der Helsinki-Konvention vorbereitet und 1992 vorgelegt, die den geographischen und inhaltlichen Geltungsbereich des Abkommens erweiterte und mit einem Aktionsprogramm verknüpft ist. Es nennt 132 Verschmutzungsschwerpunkte und fordert die Ostseeländer dazu auf, diese Belastungsquellen zu beseitigen. Doch wie in der Vergangenheit sind auch die Empfehlungen auf der Grundlage der neuen Konvention nicht rechtsverbindlich und werden nur langsam oder überhaupt nicht umgesetzt.

Unzufrieden mit den schleppenden Fortschritten im Meeresschutz bildeten die Umweltverbände zur selben Zeit Netzwerke, um die Effektivität und Durchsetzungskraft ihrer Arbeit zu optimieren. Für die Nordsee entstand der Umweltschutzdachverband Seas at Risk (SAR) und in der Ostseeregion gründete der BUND 1990 gemeinsam mit Partnerverbänden aus allen Ostseeländern die Coalition Clean Baltic (CCB). Als internationale Organisationen mit Beobachterstatus hatten die Netzwerke die Möglichkeit, in einigen Arbeitsgremien des staatlichen Meeresschutzes ihren Forderungen direkt Gehör zu verschaffen.

Doch trotz aller Bemühungen nimmt sich die Tagesordnung im Meeresschutz heute kaum anders aus als vor 30 Jahren: Wie damals sind die Küstenmeere überfischt und leiden an übergroßen Nährstofffrachten. Besonders beim Eintrag von Stickstoffverbindungen über den Luftweg, dessen Quellen vor allem in der Landwirtschaft und dem stetig steigenden Kraftfahrzeugverkehr liegen, ist keine Besserung in Sicht. Zunehmend Sorge bereitet auch der sprunghaft ansteigende Schiffsverkehr. Etwas günstiger sieht es dagegen bei den Giftstoffen aus. Immerhin konnte die Helsinki Kommission in diesem Jahr verkünden, dass es gelungen ist, für 47 besonders gefährlich Substanzen mit sechs Jahren Verspätung die für 1995 versprochene Halbierung der Einträge zu erreichen.

Das stimmt zaghaft optimistisch für die Zukunft. Das nächste Ziel ist bereits formuliert: Bis zum Jahr 2020 wollen sowohl die Ostsee- wie auch die Nordseeanlieger den Eintrag von Schadstoffen ganz und gar stoppen. Wenn es klappt, erreicht der Meeresschutz damit einen Erfolg, den der schwedische Umweltschützer Lennart Hannerz im SPIEGEL-Artikel von 1973 noch als Utopie beschrieb. Netzwerke wie die Coalition Clean Baltic und Seas at Risk und mit ihnen der BUND werden  versuchen, das schwerfällige Schiff “Meeresschutz” in Fahrt zu halten, damit es diesen neuen Meilenstein nicht auch erst nach der doppelten Zeit erreicht.

 

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